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"Flexible Arbeitszeiten kommen gut an"

Prof. Dr. Tim Hagemann

Interview mit Prof. Dr. Tim Hagemann

Das Verständnis von Arbeit hat sich gewandelt: „Erst die Arbeit, dann das Vergnügen“ hieß es gestern. Heute wollen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer berufliche Anforderungen und private Bedürfnisse in Einklang bringen. Der Trend geht weg von starren Vorgaben für den Arbeitsplatz; flexible Arbeitsmodelle rücken zunehmend in den Blick. Über diese Arbeitsform sprach Prof. Dr. Tim Hagemann, Arbeits-, Organisations- und Gesundheitspsychologe an der Fachhochschule der Diakonie, im Interview.

Herr Prof. Dr. Hagemann, Flexibles Arbeiten ist in aller Munde. Was ist das genau?
Flexibel ist die Arbeit dann, wenn ihre Gestaltung von der üblichen Regelung abweicht. Flexibles Arbeiten kann sowohl den Zeitrahmen als auch den Standort betreffen.

Zu den Modellen des Flexiblen Arbeitens gehört die Gleitzeit?
Ja, sie ist das bekannteste Modell: Die Mitarbeitenden bestimmen den Beginn und das Ende ihres Arbeitstages. Ein anderes Beispiel ist die Vertrauensarbeitszeit. Hier gestalten die Mitarbeitenden ihre gesamte Arbeitszeit selbst; ihre zeitliche Präsenz steht nicht im Vordergrund, wichtig ist, dass sie die vereinbarten Aufgaben erledigen. Beim Modell „Lebensarbeitszeit“ leistet man zusätzliche Arbeitszeit und spart sie an – etwa für ein Sabbatical oder einen vorzeitigen Ruhestand. Es gibt aber beispielsweise auch eine teamorientierte flexible Arbeitszeit: Das Team regelt autonom, wer entsprechend seinem Stellenanteil wann arbeitet.

Bei der Gestaltung der Arbeitszeit gibt es inzwischen viele kreative Ideen. Aber, wie Sie schon gesagt haben: Auch der Standort kann flexibel sein.
Ja, zum Beispiel im Rahmen der Telearbeit oder des Mobilen Arbeitens. Oder in Form der Workation, der Kombination von Urlaub und Arbeit. Dabei baue ich in den Urlaub ein paar Arbeitstage ein. Aber für jegliche Flexibilisierung von Arbeit gilt, dass sie machbar sein muss. Das hängt vom jeweiligen Arbeitsbereich und vom Tätigkeitsspektrum ab. Vieles ist auf das Sozial- und das Gesundheitswesen nicht übertragbar. Hier kommt es in besonderem Maße auf soziale Beziehungen, auf persönliche Präsenz und Nähe an.

In Bethel erfordern die Ambulantisierung der Angebote und die Orientierung an den Bedarfen der Klienten schon lange Flexibles Arbeiten. Aber jetzt ist diese Arbeitsform noch einmal stärker in den Blick gerückt. Warum?
Was das Mobile Arbeiten betrifft, so war der aktuelle Anlass für seine plötzliche generelle Einführung die Corona-Pandemie mit ihren Kontaktbeschränkungen. Es gibt allgemein einen großen Anteil unter den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, die das Zuhause-Arbeiten gut fanden und es gerne zumindest teilweise beibehalten wollen. Wenn man heute Arbeitskräfte sucht, muss man darauf achten, was diesen wichtig ist. Nicht nur das mobile Arbeiten, auch flexible Arbeitszeiten gehören zu den Dingen, auf die Wert gelegt wird.

Flexible Arbeitszeiten so wie beim FlowTeam von Bethel.regional oder dem FlexTeam in der Betheler Altenhilfe?
Genau. Der Fachkräftemangel ist da, und man muss Maßnahmen entwickeln, um als Arbeitgeber attraktiv zu sein. Flexible Arbeitszeiten kommen bei potenziellen Bewerberinnen und Bewerbern gut an, denn sie ermöglichen es ihnen, Arbeit und Privates aufeinander abzustimmen. Und es ist natürlich ideal, wenn die Mitarbeitenden, wie in den Betheler Springer- Teams, ihre Einsatzzeiten selbst festlegen und auch bei den Einsatzorten mitbestimmen können.

Bethel kann sich also so für Nachwuchskräfte interessant machen?
Auf jeden Fall. Zudem sind die Springer-Teams für den Arbeitgeber ein ganz wesentlicher ergänzender Baustein, um Personalausfälle in den regulären Teams zu kompensieren. Der Vorteil gegenüber Zeitarbeitskräften ist, dass die Mitarbeitenden der Betheler Flex- und FlowTeams eine begrenzte Zahl von Einsatzorten haben. So sind sie in einem engeren Kontakt zu Klienten und Mitarbeitenden in den Einrichtungen.

Wie wirkt sich die Flexibilisierung der Arbeit auf die Beschäftigten aus?
Psychische Erkrankungen sind auf Platz 1 im Gesundheits- und Sozialwesen. Wenn ich über Arbeitszeit und Arbeitsort mitbestimmen und sie an meine individuellen Bedürfnisse anpassen kann, hilft mir das, Arbeitsdichte und Arbeitsdruck abzufedern. Das ist eine wichtige Ressource für den Erhalt meiner Gesundheit. Wird mir dagegen die Flexibilisierung von der Führungskraft vorgegeben und sie bestimmt, wann ich wo zu arbeiten habe, ist das eine weitere Belastung. Flexibles Arbeiten ist eine Chance, wenn die Mitarbeitenden Handlungsspielräume haben. Studien zeigen, dass Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen dann zufriedener und gesünder sind. Und sie weisen auch eine stärkere Bindung an ihren Arbeitgeber auf.

Was bedeutet Flexibles Arbeiten für die Arbeitgeber?
Sie müssen dieses Arbeiten gut regeln, denn es bringt einen hohen Organisationsaufwand mit sich. Wenn zum Beispiel plötzlich für angesparte Arbeitszeit ein längerer Urlaub genommen wird, muss der Arbeitgeber das kompensieren können. Manche Arbeitgeber gehen zaghaft an neue, flexible Arbeitsmodelle heran, aber der höhere Aufwand sollte kein Grund sein, solche Arbeitsformen nicht umzusetzen. Ohne sie wird es nicht gehen. Denn man will ja zufriedene und gesunde Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben – und das in ausreichender Zahl.

Worauf muss sich die Arbeitswelt der Zukunft einstellen?
Mehr Arbeit wird auf weniger Schultern lasten. Die Zeiten, in denen man mit 60 Jahren in den Ruhestand gegangen ist, sind vorbei. Heute wächst die Zahl der älteren Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen – wegen des künftigen Renteneintrittsalters von 67 Jahren und auch aus finanziellen Gründen –, und es werden darum vermehrt Menschen wegen Krankheit ausfallen. Das heißt, es wird mehr Personalengpässe geben, die ausgeglichen werden müssen. Aber auch die Zeiten, in denen die Arbeit der Lebensmittelpunkt war und sich alles nach ihr richtete, gehören der Vergangenheit an. Die sogenannte Generation Z wie auch immer mehr Ältere richten ihren Blick heute stärker auf Familie und Freizeit und diskutieren den Sinn des Lebens. Der Zeitgeist ist ein anderer geworden, und auch darauf muss sich die Arbeitswelt mit neuen Strategien einstellen.

Mehr zum Thema

In der akuellen Ausgabe der Monatszeitschrift "DER RING" geht es um Bethels flexible Arbeitszeitmodelle. Mehr dazu hier