Herr Pohl, die Jahreslosung 2024 lautet: Alles, was ihr tut, geschehe aus Liebe (Korinther 16,14). Was verbinden Sie mit dieser Losung?
Für mich ist das eine Zielvorgabe, die uns Christus gegeben hat: Alles möge aus Liebe geschehen. Leider ist das ist nicht unsere Realität.
In den Machtzentren spielen Begriffe wie Nächstenliebe und Friedfertigkeit derzeit kaum eine Rolle. Ist die Losung also naiv in Zeiten wie diesen?
Nein, sie ist notwendiger denn je. Wir erleben, dass die Liebe sehr wenig beachtet wird, in der Weltpolitik jedenfalls. Die Diakonie ist eine Einrichtung, die sich für die Nächstenliebe einsetzt. Die sich um benachteiligte Menschen kümmert, wohnungslose Menschen, Menschen mit Behinderungen, um Menschen, die am Rand der Gesellschaft große Schwierigkeiten haben, Zugänge zu bekommen. Für uns in Bethel arbeiten fast 25.000 Menschen. Sie geben ihre Lebenszeit, um sich an dieser Stelle für ihre Mitmenschen einzusetzen. Und das in einer Zeit, die nicht nur wirtschaftlich herausfordernd, sondern besonders auch in der Personalbesetzung schwierig ist. Das verdient wirklich großen Dank.
Die Weltlage ist allerorten von aufflammendem Hass geprägt. In Israel und im Gazastreifen ist die Lage schlimmer denn je. Wie haben Sie die Schreckensbilder vom 7. Oktober erlebt?
Das war ein mörderischer Überfall von der Hamas in einem Gebiet, das schon vorher natürlich sehr unruhig war. Aber für diesen Überfall gibt es keine politische Rechtfertigung. Es war einfach entsetzlich zu sehen, dass kleine Kinder, Frauen, Männer, alte Menschen schlicht und einfach erschossen wurden, geköpft wurden, entführt wurden und viele dann über Monate in Geiselhaft gelebt haben. Und auf der anderen Seite gibt es die Opfer des Krieges innerhalb Palästinas. Das alles ist erschütternd.
Haben Sie persönliche Verbindungen zu Israel?
Es gibt einige Verbindungen. Wir hatten zuletzt den Bischof von Jerusalem hier in Bethel, der von seinen Nöten berichtet hat. Seine Tochter wurde hier bei uns in Nazareth zur Diakonin ausgebildet und auch eingesegnet. Ich staune über diese Menschen, mit welchen großem Mut und mit welch brennender Liebe sie weiter dort tätig sind.
Israels Antwort auf den Terror erfolgt mit aller Härte und Tausenden von Toten. Muss die Welt den Wunsch nach Vergeltung und Rache akzeptieren?
Die Welt kann den Wunsch nach Rache und Vergeltung niemals akzeptieren. Das hat auch unser Bundespräsident deutlich gemacht, dass auch für die Menschen in Palästina Menschenrechte gelten, dass das Völkerrecht gilt, auch bei Angriffen Israels. Ich kann verstehen, warum Menschen in Israel so reagieren. Wenn meine Verwandten, Bekannten, Freunde verschleppt oder getötet worden wären, dann weiß ich nicht, wie weit ich meine Gefühle im Griff hätte, anders zu reagieren. Aber man muss dennoch jetzt mit kühlem Kopf versuchen, wieder Wege des Friedens zu finden. Aber eines Friedens, der so etwas nie wieder zulässt.