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Studie: In Eben-Ezer kamen Prüfpräparate nicht zum Einsatz

Schwarz-weiß-Foto: eine Lehrerin schreibt an eine Tafel, sieben Mädchen schauen zur Tafel.

Wurden Kindern und Jugendlichen in Erziehungsheimen und Einrichtungen der Behindertenhilfe ohne ihr Wissen und ohne Zustimmung der Eltern neu entwickelte Medikamente verabreicht, um deren Wirkung zu erproben? Diese Frage kann jetzt in der Stiftung Eben-Ezer für den Zeitraum von 1945 bis 1975 mit einem eindeutigen Nein beantwortet werden. Allerdings gab es aus heutiger Sicht Mängel bei der medizinischen Aufklärung von jungen Bewohnern und Bewohnerinnen sowie Angehörigen. Dies sind zentrale Erkenntnisse einer aktuellen Studie, die Dr. Frank Konersmann, Historiker und Archivar der Stiftung Eben-Ezer, erarbeitet hat. Dr. Konersmann stellte seine vorläufigen Ergebnisse jetzt beim Fachtag „Medikamente bei Kindern und Jugendlichen in Geschichte und Gegenwart“ der Stiftung in Lemgo vor.

Dr. Frank Konersmann, Historiker und Archivar der Stiftung Eben-Ezer erarbeitete die Studie zum Medikamenteneinsatz. Foto: Thomas Richter

Der Studie liegt eine Zufallsstichprobe von 112 jungen Eben-Ezer-Patienten und -Patientinnen zwischen 1945 und 1975 zugrunde. Aus den Akten gehe hervor, dass rund zwei Drittel dieser Jungen und Mädchen mit Psychopharmaka behandelt worden seien, und zwar offenbar auch zur Ruhigstellung, wie Dr. Konersmann mitteilte. Über die Jahrzehnte seien insgesamt 168 verschiedene Medikamente zum Einsatz gekommen. „Aber keines davon war ein Prüfpräparat“, betonte der Historiker.

Eine weitere zentrale Erkenntnis seiner Untersuchung: Durch die Medikamente wurde bei keinem Patienten und keiner Patientin eine Schädigung verursacht. Ebenfalls von wesentlicher Bedeutung: In Eben-Ezer wurden keine sogenannten Reihentestungen der Pharma-Industrie durchgeführt.

Kritik übten Dr. Konersmann und Thorsten Löll, leitender Arzt in Eben-Ezer, an der bis Mitte der 70er-Jahre gängigen Praxis, keine Aufklärung über die Verabreichung von Medikamenten vorgenommen und keine Einwilligungen von Erziehungsberechtigten eingeholt zu haben. Erst 1976 wurden in dieser Hinsicht mit der Einführung des Arzneimittelgesetzes klare Regelungen getroffen. „Vorher war das einfach nicht üblich – auch nicht in Eben-Ezer“, berichtete Dr. Konersmann. Heute hingegen ist die Lage eine völlig andere. „Ohne Aufklärung und Einwilligung der Eltern passiert hier nichts“, betonte Löll.

Dr. Bartolt Haase, theologischer Geschäftsführer der Stiftung Eben-Ezer, zeigte sich erleichtert über die zentralen Ergebnisse der Studie. Zugleich drückte er im Zusammenhang mit den nicht erfolgten Aufklärungen und Einwilligungen sein tiefes Bedauern aus. Wichtig sei es, aus Versäumnissen der Vergangenheit die richtigen Schlüsse für die Gegenwart und Zukunft zu ziehen.