
Menschennah | Geschichten aus Bethel
1.000 Stunden für ein Hochhaus
Holzstäbe, Balkone, Treppen, Fäden, etliche Etagen und eingebaute Lichter – die vielen Details entdeckt man erst bei genauerem Hinsehen. Wird Martin Pflock gefragt, was für ein Konstrukt das denn sei, gibt er gerne Auskunft: „Es ist das Hochhaus von Reichenwalde. Gibt es ja hier noch nicht.“ Das zwei Meter hohe Objekt fällt sofort ins Auge, wenn man die Holzwerkstatt des Lobetaler Bereichs „Bildung und Beschäftigung“ in Reichenwalde betritt.

Martin Pflock lebt seit drei Jahren in der Gemeinschaftseinrichtung Reichenwalde, die auch zur Hoffnungstaler Stiftung Lobetal gehört, und genauso lange arbeitet der 64-Jährige an seinem Kunstwerk. „An die 1.000 Stunden habe ich dafür schon verwendet“, schätzt er. Aber so ganz genau weiß er das nicht. Ist auch nicht wichtig. An Werktagen ist er rund vier Stunden in der Werkstatt, mal mehr, mal weniger. Im Frühjahr und im Sommer hält er sich oft auch im Bauerngarten auf.
Das erste Reichenwalder Hochhaus besteht aus Materialien, die woanders im Müll landen. Die Stäbe sind meist irgendwo übriggeblieben. „Ich arbeite mit den Dingen, die ich gerade finde oder bekomme, nehme alles, was nicht niet- und nagelfest ist“, erklärt Martin Pflock. Deshalb sind die Holzleisten und die Stäbe mal eckig, mal rund, mal kurz, mal lang. „600 dieser Holzstäbe habe ich bisher verbaut“, vermutet der Künstler. Es können auch mehr sein. Weniger ganz bestimmt nicht.
Martin Pflock hat mit solchen Dingen Erfahrung. Schon als kleiner Junge baute er Fahrzeuge aus Streichhölzern. Bevor er nach Reichenwalde zog, lebte er alleine. Er arbeitete in einer Bäckerei und in einem Reifenwerk. Das war keine gute Zeit für ihn. Lobetal war für ihn die Rettung – ein Anker in einer schwierigen Lebensphase.
Kürzlich war das Werk von Martin Pflock in einer Ausstellung in Fürstenwalde zu sehen. Für sein Hochhaus erhielt er bei der Preisverleihung den Publikumspreis. Die rund tausend Besucherinnen und Besucher hatten für ihn votiert. Auf die Auszeichnung ist der Künstler stolz.

»Ich arbeite mit den Dingen, die ich gerade finde oder bekomme, nehme alles, was nicht niet- und nagelfest ist.«
Wie sein nächstes Vorhaben aussieht, weiß Martin Pflock noch nicht. „Aber mir fällt immer was ein“, meint er. Und außerdem müsse er an sein Hochhaus noch eine Garage bauen. Und vielleicht fehlten auch doch noch ein Balkon oder eine weitere Etage. „Vielleicht kann ich hier noch ein paar Stäbe unterbringen“, überlegt er und zeigt auf eine Stelle, die etwas weniger dicht bebaut ist. „So ein Hochhaus dauert eben“, stellt er fest. „Und wer weiß, ob es jemals fertig wird?“ Muss es auch nicht. Das Reichenwalder Hochhaus ist ja schließlich etwas ganz Besonderes.
Text: Wolfgang Kern | Fotos: Wolfgang Kern
Diese Geschichte einfach gesprochen
Martin Pflock lebt in Reichenwalde, in einer Einrichtung von Lobetal. In der Holzwerkstatt von Lobetal hat er aus alten Holzstäben ein Haus gebaut. Zwei Meter ist es hoch. Er nennt es das Hochhaus von Reichenwalde. Für sein Kunstwerk hat er schon einen Preis bekommen. Martin Pflock ging es lange nicht gut. In der Einrichtung fühlt er sich wohl.
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